Ansichten über die Abstammung der "Hienzen"
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on Karl Beidl
 
Ein Theil des westlichen Ungarn - nächst und längs den Grenzen des Erzherzogthumes Oesterreich und der Steiermark, und zwar in den Komitaten Wieselburg, Oedenburg und Eisenburg - wird theilweise von den sogenannten "Hänzen" auch "Hänsen" und "Hienzen" genannt, bewohnt.

Ich werde versuchen, diesen Volksstamm theilweise nach meiner gemachten Erfahrung und theilweise nach meiner Ansicht kurzgefaßt zu schildern. Diese "Hänzen", über welche wir in der Geschichte so wenig aufgezeichnet finden, sind ein deutscher Volksstamm; ihre Sprache ist je nach den Gegenden in ihrem Dialekte etwas abweichend, im Allgemeinen nach der österreichischen Schreibart, ein unkultivirtes Deutsch - die Aussprache unrein und roh. Man findet diese "Hänzen" ausschließlich nur in den westlichen und "außer dem Wieselburger Komitate" größtentheils in den Gebirgsgegenden Ungarns, während der hier an- und dazwischenliegende Landestheil von Magyaren bewohnt wird.

Dieser Volksstamm ist nach meiner Ansicht entweder schon vor den Hunnen hier angetroffen worden - oder dessen Einwanderung nach Ungarn geschah erst später - nach der allgemeinen Einwanderung fremder Nationalitäten und zwar ganz gewiß aus Norddeutschland - aber muthmaßlich von Schweden herein, denn die Kleidertracht der echten "Hänzen", besonders weiblichen Geschlechtes, mit ihren kurzen Röcken, sonderbaren altmodischen Jacken und noch sonderbarerem Kopfkostüme, gleicht heute noch den Kostümen der norddeutschländischen Frauen; - der Dialekt ihrer Sprache aber schlägt in mancher Beziehung merklich in das Schwedische.

Sind diese "Hänzen" von den Hunnen bereits hier angetroffen worden , so erfolgte ihre Duldung - wenn dies aber nicht der Fall - so doch ihre spätere Einwanderung nach Ungarn - unter der Bedingung, daß sie die damaligen enormen Wälder, von welchen die ungarischen Großen Besitz genommen, gegen Entschädigung auszurotten und zu kultiviren hatten.

Diese Ansicht dürfte damit an Wahrscheinlichkeit gewinnen, wenn, wie man weiß, diese Wälder - freilich jetzt schon größtentheils zu flachen Ueberlehengründen verwandelt - Eigenthum der Herrschaften sind, während dieses in anderen inmitten den von diesen "Hänzen" bewohnten Gegenden liegenden magyarischen Gemeinden, welche nur von magyarischen Edelleuten bewohnt werden, in so ausgedehntem Maße nicht der Fall ist und dann, indem das Urbarialverhältniß zwischen den Grundherrschaften und den gewesenen Unterthanen, im Allgemeinen, hauptsächlich aber bezüglich der Ueberlehen- und Rottgründe gegenüber anderen Landestheilen in Ungarn hier noch am wenigsten geregelt sind. Eine spätere Einwanderung scheint mir wahrscheinlicher.

Was die Benennung derselben "Hänzen" betrifft, so scheinen sie sich dieselbe selbst beigelegt und schon bei ihrer Einwanderung mitgebracht zu haben und zwar dürfte diese Benennung in den alten Worte "Hans" auch "Hanz" oder aber in einem alten schwedischen und norwegischen Volksspiele - "Hänseln" oder "Hänzeln" genannt - ihre Begründung finden.

Auch noch bis in das achzehnte Jahrhundert finden wir bei vielen deutschen Völkern einen Volksakt, welcher allen jenen Fremden, welche zum ersten Male irgend eine Stadt, einen Markt u. dgl. besuchten, eine bestimmte Geldsumme, z.B. 1 Thaler, 3 Schilling zu zahlen auferlegte. Dieser Volksakt hieß "Hänseln", "Hänzeln", der erlegte Geldbetrag aber "Hänselgroschen".

Diesen Akt auszuüben, haben sich in größeren Gemeinden Gesellschaften gebildet, von welchen die Vorsteher "Hänselmeister" benannt wurden; zur gewissen Jahreszeit haben sich die Mitglieder derselben in einem Keller oder in dem Hause des Hänselmeisters eingefunden, um die gesammelten Groschen bei einem Schmause zu vertilgen. Einige solcher Gesellschaften haben sich nicht auf Gemeinden, beschränkt, sondern in ganzen Gegenden - Gespannschaften - ausgedehnt und haben von ihren Regierungen zur freien, ungestörten Ausübung dieses ihres Aktes Privilegien erhalten. So z.B. heißt es in einem solchen Privilegium vom 8. März 1667 unter Anderm: "auch die ganze Gesellschaft zu gewisser Zeit des Jahres auf den Burgkeller, oder in des verordneten Hänselmeisters Behausung oder wo es etc.", wie auch Artikel 18 "sollen Alle schuldig sein, vor der Gespannschaft zu stehen" und dann "daß hinfort kein Fremder, so allhier nicht Bürger und gehänselt worden, schuldig sei, sich hänseln zu lassen."

Dieser Volksakt erhält sich auch heute noch in manchen Volksschichten und bei manchen Gelegenheiten, z.B. wenn ein Lehrling zum Gesellen oder ein Bauernbube zum Burschen wird, hat er einen bestimmten Betrag einzuzahlen, wird mit Wein oder Wasser getauft u. s. f.

Hievon also die muthmaßliche oder wahrscheinliche Benennung "Hänsen oder Hänzen", da sich dieselben ebenfalls seinerzeit dieses Manövers bedient und so diesen Namen beibehalten haben dürften.

Die "Hänzen" sind ein kräftiges, fleißiges und genügsames Volk; der hienzische Mann liebt den Flitter nicht; das hienzische Frauenzimmer aber ist gleich den in Ungarn lebenden kroatischen Volksstämmen den lockeren Sitten leidenschaftlich zugethan; Aberglaube ist ihnen nicht fremd, Gastfreundlichkeit üben sie nicht, was wohl ihrer Armuth zuzuschreiben ist. Der "Hänze" ist bei der ihm mangelnden Energie leicht zu leiten und einzuschüchtern.


Zur Biographie von Karl Beidl:

Karl Beidl stand, als er Anfang der 1880-er Jahre den hier wiedergegebenen Aufsatz verfasste, am Beginn seiner beruflichen Laufbahn. Er war damals Lehrer in Glasing, wo er 1883 die Tochter seines Vorgängers Franz Medovich zur Frau nahm. Weitere Stationen in seiner insgesamt 43-jährigen Dienstzeit waren zunächst Inzenhof, Oberradling (Felsö Rönök), Kroboteck und Windisch-Minihof, ehe er 1893 an die Volksschule von Rauchwart berufen wurde. Hier blieb er ganze zwanzig Jahre, und im Jahr 2000 wird man wohl seiner gedenken, weil er, nachdem am 13. Juli 1900 ein Großbrand 68 Häuser eingeäschert hatte, die Freiwillige Feuerwehr des Ortes gründete. 1913 verließ er Rauchwart - es heißt, dass er wegen mangelhafter Kenntniss der ungarischen Sprache entlassen wurde - und wirkte bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1924 als Schulleiter in Gamischdorf.

Zeit seines Lebens war er ein treuer Mitarbeiter der Oberwarther Sonntags-Zeitung, der er, wie er anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Zeitung anmerkte, auch seinen ersten Arbeitsplatz verdankte: Er war im Jahr 1880 bei Verwandten zu Besuch gewesen und auf dem Rückweg in einem Gasthaus eingekehrt. Dort lag die ihm damals noch unbekannte, erst kurz zuvor gegründete Zeitung auf dem Tisch, und darin sah er die Ausschreibung einer Lehrerstelle in einer Gemeinde unweit seines Wohnorts.

Als ihm 1924 in Anerkennung seiner Verdienste als Lehrer und Volksbildner der Oberlehrer-Titel verliehen wurde, blieb nicht unerwähnt, dass er auch "den Garten der deutschen Dichtungen durch manch schöne Erzählung und liebe, sinnige Mundartdichtung" bereichert habe. Als Dichter schrieb er aber auch in Hochdeutsch, unter anderem zahlreiche allegorische "Thier-Studien". Weiters heißt es von ihm, dass er das erste Lied geschrieben hat, in dessen Text der Name "Burgenland" vorkommt. 1921/22 hat er es gedichtet, und bald darauf noch einige Beiträge für das von Adolf Parr und Karl Lustig herausgegebene "Deutsche Lesebuch für das Burgenland" verfasst.

In einem Nachruf auf den 1957 verstorbenen Stegersbacher Lehrer Karl Kaiser (jun.) wird erwähnt, dass dieser mit dem Rauchwarter Lehrer "Breitl" in der in Szombathely erscheinenden Zeitung "Der Volksfreund" eine humoristisch-geistreiche Fehde austrug, wobei der eine als "Kraxlberger" und der andere als "Bergkraxler" zeichnete. Kaisers "Kontrahent" war jedoch sicherlich niemand anderer als Karl Beidl, da es in Rauchwart wohl nie einen Lehrer namens Breitl gegeben hat. Karl Beidl war auch ein begabter Musiker, spielte die Orgel ausgezeichnet und studierte mit seinen Kindern Choräle ein. Im Szenteleker (Stegersbacher) Kreis des Szombathelyer Diözesanlehrervereines hatte er die Stelle des Chormeisters inne.

(c) Dezember 1999 Albert Schuch

Quellen: Verschiedene Jahrgänge von: Oberwarther Sonntagszeitung, Güssinger Zeitung, Der Freie Burgenländer, Volk und Heimat; Walter Dujmovits: Historische und sprachliche Reflexionen zur Amerikawanderung der Burgenländer. In: Güssinger Begegnung 1987-1991. Güssing 1993, S. 35-44; Persönliche Mitteilungen von Dr. Fritz Königshofer, Bethesda, USA.