Hienzen

Von Johann Heinrich Schwicker (Wien-Teschen 1881; gekürzt)

Unter dem Namen Hienzen (auch Heanzen, Henzen oder Heinzen) kennt man in Ungarn die Deutschen im Eisenburger und Ödenburger Comitate. In confessioneller Hinsicht gehören die Hienzen größtentheils der katholischen Kirche an; doch leben unter ihnen auch gegen 40.000 Protestanten. Name und Herkunft der Hienzen ist strittig; Einige deuten den Namen aus "Heinz" oder "Henz" (Heinrich), so daß er "Heinrich's Leute" besagen würde und erinnern dabei an Kaiser Heinrich III. ... oder an den Grafen Heinrich von Güssing. Eine andere Tradition erzählt von einem Henzo, dem Besitzer der Burgen Schlaining und Bernstein, nach dem das ganze Gebiet "Henzonia" geheißen.

Wir fügen noch bei, daß die Magyaren den Namen der "Hienzen" als Spottwort gegen die westungarischen Deutschen gebrauchen. Außerdem führen die Hienzen unter sich noch besondere Prädicate. Da sind die "Kotzenhienzen" (d. i. grobe, unhöfliche Leute), die "Hechtenhienzen", die am Neusiedlersee wohnen und den Hechtenfang gewerbsmäßig betreiben; die "Spiegelhienzen" (unreinen H.), die "Pummhienzen" und endlich die "geduldigen Hienzen." Diese Letzteren sind "so vül rari Leit."

Was die Herkunft der Hienzen anbelangt, so ist man hierüber auch nicht genau unterrichtet. Ohne Zweifel hatten sich von den bairischen Ansiedelungen, welche schon Karl der Große in der avarischen Mark anlegen ließ, einzelne Reste forterhalten. Dazu kam, daß die zahlreichen deutschen Gefangenen, welche die Magyaren nach den Zeugnissen der Geschichte von ihren Streifzügen nach Deutschland heimbrachten, höchst wahrscheinlich im Westen des Landes ihren gezwungenen Aufenthalt fanden. Auch die Sprache der Hienzen weist auf ursprünglich bojoarische Abstammung hin. Dazu trat dann die Nachbarschaft der Deutschen in Österreich und Steiermark; nicht minder die Ansiedlung deutscher Ritter, welche in diesen Theilen Ungarns reich begütert waren, und theils schon Vasallen aus Deutschland mitbrachten theils auf ihre Güter deutsche Ansiedler herbeizogen.

Von erheblichem Einfluß auf das deutsche Element in Westungarn war sodann die im Jahre 1440 durch die Königin Elisabeth erfolgte Verpfändung von Eisenstadt an den österreichischen Herzog Albrecht; im Jahre 1463 trat dann Mathias (Corvinus) nebst Eisenstadt auch Forchtenstein, Güns, Kobersdorf, Rechnitz, Bernstein und Hornstein an Kaiser Friedrich IV. ab. Das feste Schloß von Schlaining erbaute der gewaltige steirische Emporkömmling Andreas Baumkircher um die Mitte des XV. Jahrhunderts. Damals ließ derselbe Baumkircher auch durch deutsche Bergleute hier die Silberminen bebauen und eigene Münzen prägen. Die bedeutendste Stadt der Hienzen ist Ödenburg. Die Befähigung, Gewecktheit, Unternehmungslust und Erfindungsgabe des Hienzen haben hier manch Vortreffliches geschaffen.

Die Mundart des Hienzen erinnert in ihrem Wesen an das Alt-Bairische, wodurch sie dem örtlich nahen österreichischen Volksdialecte verwandt wird; doch besitzt dieselbe anderseits wieder solche Eigenthümlichkeiten, die sie von den Nachbarn in Österreich scharf unterscheiden. Der Österreicher liebt die Kürze im Lautfall, der Hienze dehnt den Laut und sondert die aufeinander folgenden Selbstlaute schärfer. Sagt der Österreicher "Gud'n Murg'n", so heißt es beim Hienzen: "Guid'n Murring"; sagt jener: "Vooda und Mu'eda", so entgegnet dieser: "Vooda und Muida" u. ähnl. Eine große Anzahl specifischer Benennungen sind beiden gemein, andere sprichwörtliche Redensarten gehören ausschließlich dem einen oder andern an. Aus diesen Verschiedenheiten geht hervor, daß die Hienzen keineswegs bloß durch locales Fortrücken der Deutschen in Österreich und Steiermark nach Ungarn gekommen sind, obgleich Zuwanderungen und Übersiedlungen im Einzelnen stattgefunden haben und noch stattfinden. Eine Probe des Hienzischen Dialects bieten nachfolgende Gedichte (vom evangelischen Pfarrer Schranz in Budapest):

Auswärtsgedanka
D'r Näinl af der Oufenbank
Is heint guar söltsam g'stimmp,
Iahm fangg der Pölz zan bläidern aun,
Weil schaun der Auswärt kimmp.
Es riahrt si schaun in Gurden draust,
Die Bamer schlogen aus,
Und wou a Graserl schluifen kaun,
Durt schluifts heintmoargen aus.
Der Winter is mit Eis und Schnee
Af uaml wieder fuat,
Bold bliahn die Bliamal roth und göl'
Af insern Wiesan duat.
Und d'Veigel singa lusti drein
In Gurden und in Wold
Es is a Gwuis va Groß und Kluan
Daß d'Leiten wiederhollt.
D' Sunn scheint sou won van Himmel oar,
Und schaut ban Fenster ein,
Es is mein's Söl a rechti Freid,
Hiatz wieder Mensch za sein.
Dou geht oft ah in olti Baun'r
A neies Leben ein:
Es fangg der Pölz zan bläidern au'n,
Und kaun nit anders sein.
Af der Huanzlbank
Der Motz sitzt af der Huanzlbank
Und schnegert fleißi zui,
Dou geht a Diandl stad varbei
Und frougg: "Schneidt's Meisser, Bui?"
Und seit der Motz dos Diandl gseg'n,
Dou loßt's i'ahm mehr kuan Ruih,
Er kanns vergessn sein Ta' nit
Dei Frou: "Schneidt's Meisser, Bui?"
Und wou nar geht, und wou nar steht,
Wülls i'ahm nit aus'n Sin,
Es schmeikt iahm guar kuan Essen mehr,
Der Motz is schier dahin.
O Huanzlbank, o Huanzlbank,
I kimm mehr za kuan Ruih,
Bis epper's Diandl wiederkimmp
Und sogg: "Schneidt's Meisser, Bui?"
Das Wohnhaus des Hienzen ist gewöhnlich ein oblonges Viereck, welches aus einem vordern Gemach mit Küche, aus einer hintern Stube mit Kammer, in Weingegenden nebenbei aus dem Preßhaus und Stall besteht. Vor der Thür des Stalles ist die Düngergrube angebracht, in einiger Entfernung die Scheune; abermals ein Viereck, welches mit dem Wohnhause einen rechten Winkel bildet. Hölzerne Häuser bestehen zwar noch hie und da, werden aber mehr und mehr beseitigt, auf die Strohdächer verschwinden und werden durch Schindel- und Ziegeldächer ersetzt. Häuser mit einem Stockwerk kommen in den hienzischen Ortschaften selten vor. Die innere Einrichtung des Hauses ist ziemlich einfach. Das zumeist gepflötzte oder gedielte Wohnzimmer zeigt uns in der Mitte den viereckigen Speisetisch mit der Schublade, worin das Brot und die Eßgeräthe aufbewahrt werden; dann die "G'wandtruhe" auf Pflöcken oder einer Unterlage von Brettern. Die Ofenbank mit dem "Ofenwinkel" sind die gern aufgesuchten Sitz- und Schlafstellen, außer denen noch hochaufgerichtete Bettstellen mit einer großen Fülle von Bettzeug den Stolz der Bäuerin bilden. Diese hat überdies an dem reichlichen Vorrath von Leinwäsche ihre besondere Freude. Unter dem "Durchzuh" oder "Durzibam" der Zimmerdecke werden "Stangeln" angebracht, um Zischmen und Feierkleider daran zu hängen. Oberhalb des Tisches ist der "Schüssel- oder Tellerrahmen" angebracht, worauf das bessere Eßgeschirr steht und worunter irdene Krüge der Reihe nach aufgehangen sind.

Der Hienz liebt frugale Speisen; "Grundbirn" (Kartoffel) und "Bohnl'n" sind sein Leibessen, zu gewissen Zeiten "Sauerkraut und G'selchtes"; von Mehlspeisen der Topfenstrudel und die "Zweckerln". Zum Frühstück zieht er die Rahm- oder die Einbrennsuppe mit Erdäpfeln vor und genießt vortreffliches, weißes Weizenbrot, zu welchem am Vorabende vor dem Backen das "Urha" (Sauerteig) eingerührt wird. Die Hienzen sind im ganzen ein nüchterner Volksstam, der für gewöhnlich sich mit einem Trunk Wasser begnügt. In der Ackerbewirthschaftung ist der Hienz durch die Natur seines Gebirgs-Bodens zur Anwendung besonderer Geräthschaften, wie des "Leitenpfluges", des "Sommerschlittens" u. a. genöthigt. Ein arges Hemmniß der verbesserten Ackerbaupflege bei den Hienzen ist die Zertrümmerung des Bodenbesitzes.

Der Hienz gibt in der Kleidung der blauen Farbe den Vorzug. Blau ist der kurze Leibrock, "Janker" (Jacke), blau in der Regel das darunter getragene Wams ("Weste"), beide mit großen halbrunden Metallknöpfen besetzt. Das Beinkleid, ehedem von Leder, jetzt von Wollstoff, steckt bei dem eigentlichen Hienzen in hohen Stiefeln; den Kopf deckt ein Filzhut mit runder Kappe und breiter Krämpe.

Haupterwerb ist Viehzucht und Ackerbau, in den Waldgegenden betreibt der Hienz auch noch Kohlenbrennerei, in den Hügelgegenden und Niederungen, wo die Rebe gedeiht, den Weinbau. Der Gebirgs-Hienz geht zur Sommerszeit auch gerne nach dem fruchtbaren "Heideboden" und hilft als Mäher und Drescher seinem Nachbar "Hadbauer" beim Einheimsen der Feldfrüchte; oft wandert er zu diesem Zwecke auch weiter ins tiefere Ungarn oder nach Nieder-Österreich. Dem Hienzen kam es vor der Befreiung des bäuerlichen Grundes zugute, daß er es nur mit großen Herrschaften zu thun hatte. Diese boten selbst die Hand zu billigem Übereinkommen mit ihren Unterthanen, so daß die Hienzen in Bezug auf herrschaftliche Abgaben weit günstiger gestellt waren, als z.B. die magyarischen Bauern in der Ebene. Zehent leistete er nur von Weizen, Roggen, Flachs, Hafer und Gerste.

Neben Viehzucht und Ackerbau betreibt der Hienz auch noch mit Vorliebe das Handwerk, so zwar, daß in den magyarischen Ortschaften in der Umgebung die Handwerker größtentheils ebenfalls Hienzen sind. Der hienzische Handwerksbursche läuft gerne durch die Welt und gleicht darin dem Zillerthaler und Gottscheer Deutschen. Hienzische Maurer trifft man häufig in Wien und Budapest; diese kehren dann im Winter in die Heimat zurück, wo unterdessen Greise, Weiber und Kinder schlecht und recht die Wirthschaft geführt haben. Wie in Landsee der Hauptsitz der Maurer ist, so hat Unterrabnitz vorwiegend Zimmerleute, die entweder fertige Dachstühle verkaufen oder mit Axt und Schurzfell auf die Zimmerplätze in die Fremde wandern. Groß-Petersdorf treibt schwunghaften Pferdehandel; dagegen haben andere Gewerbs- und Handelszweige unter den Einwirkungen der veränderten Verkehrs- und Industrie-Verhältnisse erheblich abgenommen. Die Tuchmacher, Kürschner, Leineweber, Lederer, Weißgärber und Färber, früher Herren eines verbreiteten Geschäftsbetriebes, sind theils den industriellen Fortschritten ihres westlichen Nachbarn in Österreich, theils dem speculativen Geiste größerer Capitalisten, welche den Handel in ihre Hand nahmen, zum Opfer gefallen.

Blühend ist bei den Hienzen noch das Handwerk der Küferei (Binderei), dessen Erzeugnisse nicht nur nach Wien, Preßburg und Pest zu Markte gebracht, sondern bis nach Slavonien und Süd-Ungarn verfrachtet werden. Ebenso haben die Haarsiebmacher und Roßhaarflechter zu Pinkafeld, dann die Hackenschmiede zu Pinkafeld, Sinnersdorf, Riedlingsdorf, Oberreuth [sic!] und Loipersdorf sowie die Dresler [sic!] mit ihren "Spinnradln" reichliche und lohnende Arbeit. Im Obstbau zeichnet sich auf dem Hienzer Boden Ödenburg, dann die Gegend um Oberschützen, Forchtenau und Wiesen aus. Im Dorfe Wiesen ist es die von altersher überkommene Aufgabe der Weiber und Mädchen, das Obst im Kleinhandel in die Ferne zu tragen; die Haupt- und Residenzstadt Wien ist der Hauptabnehmer des "Ödenburger" Obstes. Kirschen, Äpfel ("Maschanskeräpfel") und Kastanien bilden die wichtigsten, gesuchtesten Obstarten.

Bekannte hienzische Hausiergestalten sind ferner: der Hühnerkrämer, der mit seinem engvergitterten Käfigwagen seine geflügelte Ware aus dem Eisenburger, Ödenburger, Wieselburger, Szalader und Sümegher Comitate nach der Stadt liefert. Neben ihm kennt der Wiener den Vogelhändler aus dem Heanzenlande, wo der Vogelsang ein ergiebiges Geschäft ist, das von den Waldbesitzern gepachtet wird und dem in List und Verschlagenheit geübten Hienzen großes Vergnügen bereitet. Mit Leim, Schlagnetz und Schlinge stellt er den Vögeln nach; freilich gehen neben den "Kranawettern" (Krammets-Vögeln) häufig auch Schnepfen, Rebhühner und Hasen mit; die Nachtigallen aus der Raabau bildeten ebenfalls einen gesuchten Handels-Artikel. Der hienzische Hausierhandel mit gefiederten Sängern erstreckte sich ehedem bis nach Mailand und Turin. In Nieder-Österreich kennen namentlich die Wirthe auch die hienzischen Weinführer, welche ihre leichteren Weine selbst verfrachten, die sodann in der Mischung mit dem nieder-österreichischen Landweine diesem den "süffigen" Charakter geben.

List, Verschlagenheit, mißtraurisches Benehmen, Spottsucht, Neid und die Neigung zum Übervortheilen sind Schattenseiten, welche dem Hienzen nicht abgesprochen werden können. Diese befähigten im Vormärz den Hienzen auch in hervorragender Weise zum Schmuggel oder zur "Schwärzerei." Mit großem Raffinement verstanden es die Hienzen die Zollwächter an der österreichisch-ungarischen Grenze zu täuschen, um oft ganze Herden, große Ladungen von Wein, Tabak u. dgl. über die streng bewachten Zollschranken nach Österreich und Steiermark zu "paschen".

Trotzdem sind die Hienzen ein tüchtiges Völklein; es fehlt ihnen weder an schlagendem Mutterwitz noch an den praktischen Tugenden der Gottesfurcht, Treue, Arbeitsamkeit und Genügsamkeit. Nicht minder sind die Hienzen aufrichtige Söhne ihres ungarischen Vaterlandes, lieben aber nicht minder die eigene Muttersprache und ihr angestammtes Volksthum. Von ihrer geistigen Begabung auch in der höheren Sphäre des Lebens liegen ehrenvolle Beispiele vor. In den hienzischen Städten und Dörfern sind blühende, gut besuchte Lehranstalten anzutreffen.

Die katholischen und evangelischen Volksschullehrer besitzen besondere Lehrervereine; ihr Organ ist die pädagogische Wochenschrift: "die ungarische Volksschule". In Ödenburg erscheint täglich eine deutsche politische Zeitung: "Ödenburger Nachrichten;" außerdem beschäftigen sich die Kalender in Ödenburg, Oberwarth u. a. O. mit deutschem Wesen und suchen dem geistigen Bedürfnisse des hienzischen Volkes gerecht zu werden. Die kluge Berechnung der Umstände, der Lebensfrohmuth, die Neigung zum Spottwitz und die zähe Anhänglichkeit an die Stammesart kommen auch bei den geistigen Leistungen der Hienzen zur Geltung. Die Hienzen sind überhaupt ein sangeslustiges, fabulierendes Völkchen.

Ihr heimatlicher Boden hat eine wechselreiche Geschichte. Aber auch die geschäftige Sage weiß manches zu berichten von dem Nonnenkloster zu Schlaining, vom Wunderbilde zu Mariasdorf, von den Schätzen in den Goberlinger Bergen u.s.w.

Mit berechtigtem Stolze weist der Hienz auf jene Männer und Frauen hin, die aus seiner Mitte hervorgegangen sind oder doch daselbst den Grund zu ihrer Ausbildung erhalten haben; es befinden sich darunter u.A. der berühmte Anatom Dr. Hyrtl (geb. 8. December 1810), der nicht minder hervorragende Klavierkönig Franz Liszt (geboren am 22. October 1811 zu Raiding im Ödenburger Comitat), die Sängerin Schuh-Prochaska; der durch seine Predigten und theologischen Schriften wohlbekannte katholische Pfarrer Johann Weinhofer in Pinkafeld, der als Pädagoge und Menschenfreund gleich vortreffliche evangelische Pfarrer Gottlieb August Wimmer, Gründer der Oberschützner Lehranstalten, der obzwar kein Hienz, doch durch seine langjährige, erfolgreiche Wirksamkeit unter diesem deutschen Volksstamme hier genannt werden darf. Hunderte von deutschen Lehrern nennen sich mit Stoltz seine Schüler.

(c) Dezember 1999 Albert Schuch