Josef Reichl und Rosa Werner,
Wegbereiter des Burgenlandes im Raabtal und in Wien.

Das Kondolenz-Telegramm des sozialdemokratischen Abgeordneten Georg Sailer war an die großdeutsche Landesparteileitung gerichtet: "Erlaube mir, Ihrer Partei anläßlich des Ablebens unseres burgenländischen Heimatdichters Josef Reichl aufrichtiges Beileid zu übermitteln." Die Hochachtung, die dem 1924 verstorbenen Hutmachermeister und Schriftsteller auch außerhalb seiner politischen Heimat (der Großdeutschen Partei) entgegengebracht wurde, ist wohl auch auf sein Engagement für die Vereinigung des Burgenlandes mit Österreich zurückzuführen. Diesbezüglich hatte seine gelegentlich leicht romantisiert dargestellte Tätigkeit im Land selbst, vor allem in seiner Raabtaler Heimat, letztendlich vermutlich weniger Bedeutung als die Aktivität, die er in seiner Wiener Wahlheimat entfaltete.

Schon am 21. November 1918 druckte etwa die "Ostdeutsche Rundschau" Reichls Aufruf an seine Landsleute ("Die Entscheidungsstunde der Deutschen Westungarns. Aufruf eines Landsmannes."), und die große Anschluss-Kundgebung im Wiener Kolosseum am 2. März 1919, die mit einem Demonstrationszug über den Ring verbunden war, leitete er mit seinem Gedicht "Für d´ Hoamat und d´ Sprach" ein. In den Jahren danach wurde Reichl zum "Sänger des Anschlusses" hochstilisiert, und Leopold Schmidt sah in ihm noch 1980 die "geistige Leitgestalt der Anschlußbewegung". Sein wichtigster Beitrag zur Entstehung des Burgenlandes wird aber wahrscheinlich in seiner hohen Bekanntheit in der Wiener Kultur- und Medienszene zu suchen sein, die er sicherlich in propagandistischer Hinsicht zu nutzen wusste. "In seinen letzten Lebensjahren erfreute sich der Dichter allgemeiner Verehrung. Er zählte viele hervorragende Männer zu seinen Freunden", schreibt bereits sein erster Biograph Hans Levar. Reichl verkehrte mit Komponisten, Schriftstellern und Journalisten und publizierte in vielen, auch überregionalen Zeitungen und Zeitschriften.

Welches Gewicht das Wort Reichls in jenen Tagen hatte, zeigt seine mit 2. Juli 1924 datierte Intervention an die Adresse von Erhard Buschbeck, den stellvertretenden Direktor des Wiener Burgtheaters: "Sie würden mir persönlich einen großen Gefallen erweisen, wenn Sie meinem Freunde, Herrn Oskar Hubicki, Chefredakteur des Weltbildes, die Promanenzkarte für die Generalproben des Burgtheater verschaffen würden. Trotzdem das Blatt einen großen Theaterteil in Wort und Bild eingerichtet hat, wurde Herrn Hubicki's Ansuchen um eine Karte von Herrn Kanzleirat Molitor abgelehnt mit der Begründung Wochenblätter bekämen keine Promanenzkarten. Nun hat aber Herr Hubicki als Theaterreferent des Interessanten Blattes immer eine Generalprobenkarte gehabt und hat auch jetzt eine solche für die Staatsoper. Ich glaube deshalb, daß Sie meine Bitte erfüllen könnten und zeichne mit den herzlichsten Grüßen in dieser Hoffnung als Ihr sehr erg. Josef Reichl."

Auch zur Leitung der Großdeutschen Partei, die in der Anschlussbewegung eine führende Rolle spielte, hatte Reichl beste Beziehungen: So bezeichnete sich etwa Hermann Kandl, der Obmann der Partei von ihrer Gründung bis zum Jahr 1923 war, als langjährigen persönlichen Freund des Dichters. Sein Nachruf auf Josef Reichl wurde vom "Bodenständigen Burgenländer", einem die Interessen der einheimischen Beamten vertretenden Blatt, nicht ohne Genugtuung zitiert:

"Als noch keiner der patentierten "Retter" des Heinzenvolkes daran dachte, sich in dessen Befreiungsdienst zu stellen, vor Jahrzehnten schon, klingen Reichls Mahnrufe hinüber ins Heinzenland: Bleibt deutsch! Von dem Augenblicke an, als die Möglichkeit aufschien, das deutsche Burgenland an Österreich anzuschließen, sang, schrieb, dachte Reichl nichts anderes mehr." Kandl sah den Dichter umringt von "eklen Heuchlern, die selbst ihn und die Verehrung, die man ihm in der Heimat zollte, in den Dienst ihrer Streberei stellen wollten, die damals plötzlich ihre "heiße Liebe" zum Heinzenlande entdeckten, allerdings zugleich mit der Tatsache, daß das Heinzenvolk ihrer dringendst als "intelligenter" Führer und Mandatare bedürfe. Das war damals, als neben den braven, nach ihren Eigenheiten humorvoll als "Spiegel"-, "Bumm"- und "Repetierheanzen" bezeichneten Bodenständigen, eine neue, bösere Gattung auftrat: die Konjunkturheanzen aus Deutschösterreich. Aber Josef Reichl war nicht zu mißbrauchen. Ihn lockte keine "offizielle" Ehrung: er sang so "wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet" und ihm war am wohlsten unter den "unintelligenten" Männer und Weibern, Mädln und Buben in Gotthard und St. Martin und wie froh er war, wenn er bei seinen Fahrten den "intelligenten Führern", die überall mit dem öligen Brusttone der Überzeugung zum Volke und für ihre Stellungen sprachen, ausweichen konnte."

Die von Kandl angesprochenen Freunde Reichls in Sankt Martin an der Raab waren sicherlich im dortigen Heimkehrerverein in großer Zahl zu finden. Und doch rückte zu Reichls Begräbnis im Wiener Zentralfriedhof nicht eine Abordnung der "alten Kameraden" aus: Die Bäckermeistersgattin Rosa Werner vertrat an ihrer Stelle den Verein, in dessen Namen sie, wie der "Freie Burgenländer" vermerkt, "in rührender Pietät heimatliche Erde aus dem Burgenlande mitgebracht" hatte. Und als sie gut zwei Jahre später, am 8. März 1927, freiwillig aus dem Leben schied, war der Tod dieser "begeisterten Vorkämpferin für die Freiheit des Burgenlandes" der Zeitung eine ausführliche Notiz wert. Schon vor Weihnachten 1918, so heißt es, musste sie zum ersten mal aus ihrer Heimat fliehen, zum zweiten mal dann zur Zeit der Räteregierung von Bela Kun, als sie sechs Wochen in Graz verbrachte. Als dann der jugoslawische SHS-Staat nach der Raab-Grenze zu greifen drohte, sammelte Rosa Werner Unterschriften in 14 Gemeinden, die über Vermittlung des Abgeordneten Neunteufel nach Saint Germain gesandt wurden.

Als sie im Juli 1921 zum dritten mal - für fast fünf Monate – flüchten musste, wurde ihr gesamter Besitz beschlagnahmt. Bei ihrer Rückkehr im November 1921 fand sie ihren Mann krank und arbeitsunfähig vor, das gemeinsam geführte Geschäft war zugrundegerichtet, die Kriegsanleihen wertlos. Trotzdem wurde sie Mitglied der Landesparteileitung der Großdeutschen Partei. Die geplante Kandidatur für den Landtag musste jedoch aus gesundheitlichen Gründen unterbleiben. Für den 1925 gegründeten Josef Reichl-Bund warb sie in ihrem Heimatort und in den Nachbargemeinden zahlreiche Mitglieder, und sie arbeitete auch an der damals noch geplanten Überführung des Leichnams des Dichters nach Sankt Martin an der Raab, zur letzten Ruhestätte seiner Eltern. Im Sommer 1926 musste sich Rosa Werner in Graz einer Operation unterziehen. (In Graz war sie auch – 1865 – als Rosa Stern geboren worden. Die Bäckermeisterstochter hatte dort den aus Sankt Martin an der Raab stammenden Bäckergehilfen Josef Werner kennengelernt und war ihm in seine westungarische Heimat gefolgt.) Von der Operation erholte sie sich nicht mehr und verfiel zusehends dem Trübsinn, was sie wohl letztendlich auch zum Sprung in die Raab veranlasst haben dürfte.

(c) Albert Schuch