Die Heanzen
Aus der "ethnographischen Studie" von M. A. Becker (Wien 1863; gekürzt)

Wenn man den Landstrich Ungarns nächst der niederösterreichischen und steierischen Grenze mit einer Linie umfängt, die Preßburg gegenüber am rechten Donauufer beginnend, den Carlburg-Wieselburger Donauarm entlang bis gegen Raab, und die Raab aufwärts an Körmend, das östlich bleibt, vorbei bis St. Michael nächst Fürstenfeld gezogen wird, so hat man jenen Theil des Reichsbodens bezeichnet, dessen Bewohner, zum größten Theile deutschen Stammes, sich selbst "Heanzen" nennen und auch von ihren Nachbarn östlich und westlich so genannt werden. Im Volksmunde sind die Terrainverhältnisse durch die Benennungen die Haide, die Raab-Au, der Pinkaboden, der Güssingerboden, das Lafnitzthal charakterisirt.

Der Flächenraum dieses Landstriches dürfte annähernd über 100 Quadrat-Meilen betragen, auf welchem neben 30,000 Slaven (dort Wasserkroaten genannt), 12,000 Juden und beiläufig 4000 in den größeren Orten isolirt vorkommenden Magyaren nahezu 250,000 Deutsche wohnen. In confessioneller Hinsicht sind unter den Deutschen gegen 40,000 Protestanten zu bezeichnen, von denen ein Theil zur Zeit der Gegenreformation unter Ferdinand II. aus den Nachbarländern, ein anderer im Anfang des 18. Jahrhunderts aus Salzburg eingewandert ist.

Von den Deutschen im Heanzenlande fehlt jede verbürgte Angabe über ihren Ursprung, insofern dieser mit der Besitznahme des von ihnen bewohnten Landes gleichbedeutend ist, und man darf sich daher nicht wundern, wenn damit Historikern, nicht nur den ungarischen, ein offenes Feld für Muthmaßungen und Hypothesen gegeben war. Es müßte einer Specialdarstellung überlassen bleiben, die verschiedenen Ansichten darüber mit kritischer Schärfe zu prüfen. Die Annahme, Bela IV. habe, als er 1250 auf eine Zeit lang Steiermark an sich brachte, die Ansiedlung der sogenannten Heanzen im Eisenburger Comitate vermittelt, wird von keiner verläßlichen Quelle bestätigt; dagegen steht das Vorhandensein deutscher Bewohner in jener Gegend aus viel früherer Zeit historisch außer Zweifel.

Mit der größten Wahrscheinlichkeit läßt sich jedoch behaupten, daß unsere Heanzen sich nicht aus ihren deutschen Grenznachbarn in Oesterreich und Steiermark recrutirt haben, das heißt, daß sie nicht durch ein locales Fortrücken der deutschen Nachbarn nach Osten in ihre Wohnsitze gelangt sind. Dem widerspricht der Gang der Ereignisse seit dem Ende des 13. Jahrhunderts und der ausgeprägte Typus in Sprache, Sitte, Wohnung, Kleidung und Sinnesart.

Obgleich der Mundart der Heanzen der Typus des Altbayerischen, der auch bei ihren deutschen Nachbarn herrscht, kaum wird abgesprochen werden können, so zeigen sich doch Unterschiede, die bei der Nähe und dem lebhaften Verkehr der Nachbarn unter einander auffallend sind. Der Oesterreicher liebt die Kürze im Lautfall, auch wo Zwielaute auszusprechen sind; der Heanze dehnt den Laut und sondert die auf einander folgenden Selbstlaute schärfer.

Die innere Hauseinrichtung beim Heanzen, wo die "Gwand-Truhe" auf Pflöcken oder einer Unterlage von Brettern mit dem viereckigen Schubtisch und der Schublade, die Ofenbank und "das Ofenwinkel" unvermeidlich sind; unter dem "Durchzuh" werden "Stangeln" angebracht, um Czismen und Feierkleider daran zu hängen. Die Speisen der Oesterreicher schwimmen im Fett, die der Heanzen im Wasser; bei diesen sind "Grundbirn" (Kartoffel) und "Bohn'ln", zu gewissen Zeiten Sauerkraut und "Gselchtes" ein beliebtes Leibessen. Den österreichsichen Mohnstrudeln, Nudeln und Nocken stellt der Heanze den Topfenstrudel und die "Zweckerln" entgegen. Das Brod ist bei dem Heanzen besser und weißer als bei dem Oesterreicher. Dieser verrührt den Sauerteig schon am Vorabend unter den Teig; jener [= der Heanze] begnügt sich, am Vorabende vor dem Backen das "Urha" einzurühren. Der benachbarte Oesterreicher hat zum Trunk sein Bier und Aepfel- oder Birn-Most; der Heanze trinkt lieber Wein.

Der Heanze fährt nach der Windrose in allen Richtungen auf kleine Feldparcellen. In der Kleidung unterscheidet sich der Gebirgsheanz von dem Hadbauer und dem heanzischen Kroaten. Allen gemeinsam ist die Vorliebe für die blaue Farbe. Blau ist der kurze Leibrock, "Janker", blau in der Regel das darunter getragene Wams, "Weste", beide mit großen halbrunden Metallknöpfen besetzt. Das Beinkleid, ehedem, wo der Export der Häute noch nicht so groß war, von Leder, jetzt von Wollstoff, steckt bei den eigentlichen Heanzen in hohen Stiefeln, beim Hadbauer und Kroaten in Czismen. Der Filzhut mit runder Kappe ist beim Hadbauer am breitesten gekrämpt, die Krämpe ist auf einer Seite aufgestülpt.

Der Hadbauer ist der Kosmopolit unter den Heanzen und hat den regsten Trieb zum Erwerb durch den Verkehr. Während der Hadbauer seinen Erwerb im Handel und folglich auf der Straße sucht und dadurch seinen Wohlstand gründet, verdingt sich der eigentliche Heanz als Arbeiter beim Einheimsen der Feldfrüchte. Zur Schnittzeit gehen Hunderte aus dem Gebirg in die Niederung als Mäher und Drescher. Da die Frucht im Gebirge um 3 bis 4 Wochen später reift als in der Niederung, so kann der Bergheanz seinem Landsmann in der Niederung als Mäher und Drescher dienen; er verdingt sich zu diesem Zweck auch weiter ins tiefe Ungarn, wie nach Niederösterreich.

Der Heanze hat einen historischen Trieb zum Handwerk. In den magyarischen Districten von Ungarn waren die Handwerker ehedem ausschließend und sind noch jetzt größtentheils Heanzen. Um Landsee sind die meisten Bewohner Maurer und wandern, sobald sie die Elemente des Geschäftes inne haben, in die Ferne auf Erwerb aus. Auf den Baustellen in Pest und Wien findet man sie in Massen. Der Winter trifft sie wieder in der Heimaath, wo den Weibern und Bresthaften mittlerweile die Wirthschaft zugewiesen war. Zu Unterrabnitz hausen die Zimmerleute. Was im Orte arbeitsfähig ist, behaut und fugt die Stämme zu Dachstühlen, die dann fertig verkauft werden, oder wandert mit Axt und Schurzfell nach Orten nah und fern, um auf Zimmerplätzen längere Arbeit zu finden.

Großpetersdorf zwischen Bernstein und Pinkafeld ist von Roßhändlern bewohnt. Es muß hier bemerkt werden, daß vor dem Bau der Triester Bahn größtentheils Heanzer Pferde den Waarentransport über Steinamanger-Oedenburg nach Wien und von dort nach Triest führten. Seitdem nimmt die Zucht schwerer Pferde ab und die einheimischen lassen von dem stattlichen Wesend er früher gezüchteten wenig merken. Die Tuchmacher, Kürschner, Leineweber, Lederer, Weißgerber und Färber, früher Herren eines verbreiteten Geschäftsbetriebes, sind theils dem industriellen Fortschritte ihrer Nachbarn gegen West, theils dem speculativen Geiste größerer Capitalisten zum Opfer gefallen, welche den Handel in ihre Hand nahmen. So ist der Lederhandel, der ehemals die südlichen Ortschaften bereicherte, fast ausschließend in der Hand der Juden. Die wohlfeilen Wollfabricate aus Oesterreich haben die Leineweber und Tuchmacher ruinirt, ohne daß die grundherrlichen Verhältnisse gestatteten, Fabriken im Lande zu errichten.

Das einzige Handwerk, welches noch im Lande blüht, ist die Küferei (Binderei), und auch diese steht mit dem Wandertriebe in Verbindung, insofern Wasserkübel, Schmalztesen, Sechter, Rührfässer, Stallbüttel, Gurkenfässer, Windmühlen (zum Fruchtreinigen) u. dgl. größtentheils von dem Erzeuger selbst oder seinen Ortsnachbarn weithin zum Verkauf verführt werden. Sie gehen bis nach Slavonien und in die Militärgrenze, liegen aber auch in Preßburg, Pest und Wien auf dem Markte. Hier muß noch insbesondere der Haarsiebmacher, Hackenschmiede und Drechsler gedacht werden. In Pinkafeld allein sitzen 45 Meister mit ihren Gesellen, die das Roßhaar zu Siebböden und zu Halsbinden für die Armee verarbeiten.

Die Hackenschmiede zu Pinkafeld, Sinnersdorf, Riedlingsdorf, Oberreit und Luipersdorf schmieden aus steirischem Eisen Aexte, Hauen, Glockenschwängel. Die Drechsler versorgen Ungarn jenseits der Donau vornehmlich mit "Spinnradln". Unter den spezifisch heanzischen Hausirern, die das Geschäft mitunter ins Große treiben und uns Wienern nur darum weniger bekannt sind, weil wir im Getriebe der Großstadt gewöhnlich das Nächste unbeachtet lassen, führe ich an:

Die Wiesener Obstweiber. Die Gegend um Forchtenau und Wiesen ist der Obstgarten des Heanzenlandes. Von der Schönheit des Oedenburger Obstes brauche ich nicht zu reden. Im Dorfe Wiesen ist es die von altersher überkommene Aufgabe der Weiber, so lang sie rüstig sind, das Obst im Kleinhandel in die Ferne zu tragen, Wiesen ist so zu sagen der Stapelplatz des Obstes. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man die Masse der Kirschen, die jährlich von hier aus vertragen werden,auf 2- bis 3000 Butten, der Aepfel auf 50- bis 60,000 Metzen ansetzt, nicht der heanzischen edlen Kastanien zu gedenken, die auf dem Wiener Markte gewiß 4/5 der sogenannten echten Maroni ausmachen. An der Leopoldstädter Seite der Ferdinandsbrücke haben die Wiesenerinnen ihren Standplatz und fragt man die rothwangige Dirne, woher sie sei, so erhält man die charakteristische Antwort: "Von der Wiesen sam a, und so sama, daß ma san." In den Wiener Hauswirthschaften kennt man sie, und die Hausfrauen - nämlich jene, die sich mit der Wirthschaft beschäftigen - wissen genau den Zeitpunct aus dem Kalender, wann die Wiesenerin mit ihren "Maschanskeräpfeln" kommt.

Die "Hühnerkramer". In den Wiener Vorstädten begegnet man zu gewissen Zeiten engvergitterten Käfigwägen, vor denen ein "Blaujanker" mit breitgekrämptem Hute daherschreitet. Das ist die wandelnde Verkaufsbude des heanzischen Hühnerkramers. Er verkauft seine Waare auf der Straße und an feste Kundschaften. Die Hühner werden im Eisenburger, Oedenburger, Wieselburger, Szalader und Schümegher Comitate von Dorf zu Dorf aufgekauft und in die Stadt gefahren. Eier kommen dabei mit in den Kauf.

Die Weinführer. Der sogenannte "süffige" Wein in den Dorf- und Stadtschänken Niederösterreichs hat seine Milde und das Unnennbare, was der Ausdruck "süffig" bezeichnet, größtentheils aus dem Heanzenlande. Die Wirthe kennen die "Weinführer", die Jahr aus Jahr ein ganze Ladungen der leichten Ungarweine zubringen. Man sagt, daß der junge österreicher Wein dieser Mischung sein "Schmalzl" verdanke.

Der Vogelhändler. Im Heanzenlande ist der Vogelfang zu einer bestimmten Rente der Waldbesitzer geworden, indem der Vogelfänger für die Ausübung des Geschäftes eine Abgabe zahlt. Der findige, in List und Verschlagenheit geübte Heanz ist ein gemachter Vogelfänger. Er versteht sich gleicht gut auf den Leim, auf's Schlagnetz wie auf die Schlinge. Die letztere handhabt er sogar in einer Ausdehnung, daß der Forstmann dabei bedenklich wird. Mit den "Kranawettern", die er in Schlingen fängt, verwickeln sich häufig Schnepfen, Rebhühner und Hasen in das gleiche Schicksal, und beim Verkaufe, den er sodann auf der Neustädter Seite von Niederösterreich und in Wien besorgt, gehen alle mit drein. Unter den lebendigen Singvögeln war vor kurzem noch die Nachtigall aus der Raabau und den Donaubüschen ein Hauptartikel heanzsichen Erwerbes. Diese und mit ihnen andere Singvögel wurden bis nach Oberösterreich, Salzburg, Tirol, sogar nach Mailand und Turin getragen.

Indem ich Hausirer mit Tuch, Leinwand und Kurzwaaren, "Buttenträger", und die Grünzeug- und Samenhändlerinnen übergehe, muß ich noch eines eigenthümlichen Industriezweiges erwähnen, der auf den moralischen Charakter des Heanzen mächtig einwirkt und namentlich List und Verschlagenheit, ein mißtraurisches Benehmen und die Neigung zur Uebervortheilung genährt hat, die man dem Heanzen nicht absprechen kann. Es ist dies der Schmuggel oder die "Schwärzerei", die zum Glück seit der Aufhebung der Zollschranken nicht mehr möglich ist. Von der raffinirten Weise, wie die Zollwächter getäuscht, und ganze Heerden Vieh, große Ladungen von Wein, Tabak und dergl. über die streng bewachte Grenze nach Oesterreich und Steiermark spedirt wurden, ließen sich artige Stücklein erzählen.

Weit mehr, als von den Heanzen hier gesagt ist, wäre von ihnen noch zu sagen. Unter den Deutschen in Ungarn haben sie culturgeschichtlich eine größere Bedeutung als sie bisher gefunden, nicht nur wegen mancherlei Eigenthümlichkeit in Sitte, Sprache und Lebensweise und wegen der merkwürdigen Regsamkeit ihrer geistigen Anlagen, die sich in kluger Berechnung der Umstände und in der Neigung zum Spottwitz kund giebt, sondern insbesondere wegen der Zähigkeit, womit sie allezeit unter den widrigtsten Einflüssen an ihrer Nationalität festhielten.

(c) Dezember 1999 Albert Schuch