Die Hianzen und Güssing

von Gottfried Pröll, Pädagoge, Kulturjournalist,
30 Jahre freier Mitarbeiter des ORF-Burgenland

Gottfried Pröll ist im Sommer 2003 von uns gegangen. Mit unvorstellbarer Geduld hat er seinen Leidensweg gemeistert, bereits schwer gezeichnet den Weg nach Rom zur Seligsprechung des "Arztes der Armen" Dr. Ladislaus Batthyány auf sich genommen, um beim Oratorium des Vokalensembles "Cantus Felix" den Orator zu geben.
Noch eine Woche vor seinem Tod hat er im Rahmen der von ihm gestalteten Serie "Künstlergespräche" im Ensemble Gerersdorf die Austellung von Markus Vallazza eröffnet.
Güssing - wie die gesamte burgenländische Kunst-, Literatur- und Journalisten-Szene - betrauert das frühe Ableben eines großen Mitbürgers und Kollegen. Auch die BURGSPIELE GÜSSING haben einen wahren Freund und Berater verloren, ebenso wie ich, dem er noch dazu ein lieber Nachbarn war.
Danke, Gottfried, und denk an uns, die wir noch eine Weile hier verbleiben...
------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Heinz Koller

Gottfried Pröll


Vor 220 Jahren - Joseph der Zweite war Kaiser, seine Mutter, Maria Theresia, war Königin von Ungarn - wurde zum ersten Male etwas über die Hianzen publiziert. Leopold Schmidt berichtete bei der "Güssinger Begegnung 1978" von einem in Wien und Preßburg erschienenen "Almanach von Ungarn auf das Jahr 1778", in dem von der "Hienzey" als einer "Landschaft, 6 Meilen lang und so viel breit, in der Gegend um Güns herum" die Rede war. Die "Inwohner" seien "Gothen", hätten ihre besondere Sprache und ihre Trachten. Ein erkleckliches Maß an Gotizismus steckt in dieser Definition, Gotizismus nicht als Nachahmung gotischer Kunst verstanden, sondern als romantische Präferenz einem germanischen Stamm, den Ostgoten, gegenüber, die während der Völkerwanderungszeit in der Tat in Pannonien Spuren hinterlassen hatten. So sehen es Eberhard Kranzmayer und Karl Bürger in ihrem "Burgenländischen Siedlungsnamenbuch" als wahrscheinlich an, daß "Güssing" von "Guzzinga" zu althochdeutsch "Gozzo" abzuleiten ist, wobei "Gozzo", "der Gote", sowohl ein Personenname als auch die Bezeichnung für einen Angehörigen des Stammes der Goten gewesen sein könnte.

Es wäre allerdings verwegen, wollte man eine Kontinuität von den Goten der Völkerwanderungszeit zu den Hianzen nachzuweisen versuchen, zu den deutschsprachigen Bewohnern jenes Landstriches, der bis 1921 Ungarns Westen war und seither Österreichs östlichstes Bundesland, das Burgenland, ist. Sehr wohl aber darf angenommen werden, daß die fränkisch-bayrischen Siedler der Karolingerzeit im Magyarensturm nicht gänzlich untergegangen sind.

Daß nach den Feldzügen Karls des Großen gegen die Awaren deutschsprachige Kolonisten am äußersten Alpenostrand seßhaft wurden, ist urkundlich belegbar. Die älteste Urkunde, die einen heute im Burgenland liegenden Ort, nämlich Pinkafeld, nennt, stammt aus dem Jahre 860. Es ist ein von Ludwig dem Deutschen signiertes Dokument, das die Schenkung von 43 Orten bzw. Liegenschaften an das Erzbistum Salzburg festhält, darunter auch Steinamanger ("Sabaria civitas") und ein Gut "ad Peinicahu" ("an der Pinka"), möglicherweise Prostrum, womit wir wieder im Raume Güssing angekommen wären.

Das Grenzland des "Günser, Bernsteiner und Güssinger Gebirges" , das "Centrum der Hienzerei", sei noch zur Zeit der Kriegszüge Heinrichs des Dritten so unwirtlich und wegelos gewesen, daß der Kaiser einen großen Umweg genommen habe und an der Raab entlang nach Ungarn eingedrungen sei. Irene Thirring-Waisbecker schreibt das in der Abhandlung "Zur Volkskunde der Hienzen". Die karolingischen Kolonisten hätten in den Waldgebieten dieser "pugläten Welt" vor dem Ansturm der Magyaren Zuflucht gesucht - und überlebt. Unter König Stephan dem Heiligen und seiner Frau, der bayrischen Herzogstochter Gisela, kam dann deutschsprachige Verstärkung. Die "hospites", die aus dem bayrischen Raum nach Westungarn berufen und durch Schenkungen angelockt wurden, brachten Vasallen und Siedler in großer Zahl mit. Ihre Sprache vermischte sich mit jener der schon länger Ansässigen. Die Mundart der Hianzen ist nach Maria Hornung, der bekannten Sprachwissenschafterin, ein "uralter ostmittelbairischer Dialekt", allerdings meinte noch Karl Freiherr von Czoernig in seiner "Ethnographie der Österreichischen Monarchie", in der Eigenart der Sprache der Hianzen starke fränkische Elemente erkennen zu können.

Unter den von Czoernig zusammengetragenen Versionen zur Erklärung des Namens der Hianzen findet sich die wohl weit hergeholte Ableitung von Kaiser Heinrich dem Dritten, der Ungarn vorübergehend in die Lehensabhängigkeit gezwungen hatte, bzw. von seinen Gefolgsleuten, die eventuell "Heinrichsleute" genannt wurden.

Da erscheint ein anderer Heinrich als Namensspender für die Hianzen naheliegender, nämlich Graf Heinrich aus dem Geschlechte derer von Güssing, jener mächtige Dynast, der in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts als Reichsrichter, Palatin und Ban die Geschichte Ungarns wesentlich mitzugestalten vermochte. Er und seine Söhne geboten über weite Gebiete in den westlichen Komitaten. "Ihre Macht", schreibt Irene Thirring-Waisbecker, "fußte (...) in den deutschen Besetzungen ihrer Burgen, die sich zumeist aus den Bewohnern unseres Gebietes rekrutierten; daher liegt die Erklärung nahe, daß die Deutschen unseres Gebietes nach ihm mit dem Namen Hienzen oder Heanzen belegt worden sind oder sich selbst so genannt haben. Hinzu kommt, daß Heinrich mehrere Ahnen hatte, die sich Henz nannten, und daß sich seine Söhne als "Heinrichssöhne" ("filii Henrici bani") bezeichneten. Ein der Tradition geläufiger "Henczo", als Comes des 13. Jahrhunderts definiert, ist aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Großen Ban identisch. Wenn man also annehmen will, daß die Untertanen eines Heinrich als "Heinrichsleute" und in der Folge als "Henzen" oder "Heinzen" apostrophiert wurden, so wohl eher die des Heinrich von Güssing, dem im Siedlungsgebiet der Hianzen u. a. die Wehranlagen in Güns und Güssing, in Schlaining, Bernstein, Rechnitz, Lockenhaus und Kobersdorf zu eigen waren.

Die Versuche, den Namen der Hianzen aus ihrer Sprache zu deuten, sind samt und sonders gutgemeinte Spekulationen. Alle Forscher und Interpreten sind sich allerdings darin einig, daß, wenn schon die Mundart zur Namenserklärung herangezogen werde, Verspottung in irgendeiner Form angenommen werden müsse. In aktiver Weise, als Spötter, erscheinen die Hianzen bei Michael Haas (1810-1866), dem aus Pinkafeld gebürtigen Bischof von Szatmár, einem eifrigen Sammler hianzischen Sprachgutes. Er leitet "Heanz" von "heanzeln" ab, was soviel wie "hänseln", "spotten" bedeutet. Und in der Tat muß man lange suchen, bis man wieder einen Menschenschlag findet, der an der Neckerei von Dorf zu Dorf mit derart viel Lust und Begabung am Werk (gewesen) ist wie die Hianzen. Andere Namensdeutungen zeigen uns die Hianzen als die von den Bewohnern benachbarter Regionen wegen auffälliger, Spott provozierender Gewohnheiten Gehänselten.

Gemeint sind vor allem Sprachgewohnheiten, etwa der außerordentlich häufige Gebrauch bestimmter Wörter und Phrasen. In der als Anrede wie als Ausruf oft benützten Wendung "Hea(r)ns!" ("Hören Sie!") glaubt Franz Puhr, die Quelle für den Necknamen "Heanz" gefunden zu haben. Viel spricht dafür, daß das Adverb "hia(n)z" ("jetzt") dem Übernamen "Hianzen" zugrundeliegt. Der Ödenburger Volkskundler Johann Reinhard Bünker meinte dazu zu Beginn unseres Jahrhunderts, es seien vornehmlich die Deutschen des Eisenburger Komitates, die, wenn sie etwas erzählten, die Gewohnheit hätten, das Wörtchen "hie(n)z" im Sinne von "jetzt " ungewöhnlich häufig zu gebrauchen. "Hian(n)z", "hia(n)z-eh" und "hia(n)z-danäh" sind Wörter, deren sich besonders der Südburgenländer auch heute noch liebend gern bedient.

In einem Trostgedicht, das der Kukmirner Johannes Ebenspanger dem aus Oberschützen gebürtigen Samuel Kurz nach Budapest schickte, kommt das Wort "hianz" gleich siebenmal vor.

Hianzeh haon i gjualzt mit Dia vualla Fraid;
hianz hülf i da trogn Dein Kraiz und Dein Laid.
Wenn Eink a deis Biabl hianz niama aonlocht,
sao hod Gaod aus iahm an Eingl hold gmocht.
Den faihlt nix, den pricht nix, den thuit nix meah weh,
dear is hianz gaonz glickli in Himml in da Heh.
Wea woaß, wos war gscheign mid iahm af dar Wöld,
und hianz geihts iahm guit, daß iahm goar nix meah föhlt.
Eink freili faihlt hianz van Heaz a gaonz' s Stuck:
Eis hop'sn sao geen ghopp und ea kimp niama zruck.
Ea is hianz an Eingl mid a himmlischn Kraon,
und Eis muißt's Eink hold trestn: Insa Heagaod hots thaon.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß der niederösterreichische Germanist Johann Willibald Nagl, ein Pionier der Mundart- und Namensforschung, den Namen der Hianzen von "Heanakramer" abgeleitet sah, eine Deutung, die durch den 1996 ausgestrahlten ORF-Film "Die Heanzen" und die darin dargestellte einstige Bedeutung des Meidlinger Marktes in Wien für die Geflügelhändler aus dem Wohngebiet der Hianzen kaum an Wahrscheinlichkeit zugenommen hat.

Wahrscheinlich hingegen ist, daß die Herkunft des Namens der Hianzen nie mehr eindeutig nachgewiesen werden kann. Sei's drum! Wichtig allein erscheint, daß sich neben dem nicht von ungefähr in Güssing ansässigen Josef Reichl-Bund neuerdings auch ein eigener "Hianzenverein" , nämlich die im November 1996 gegründete "Burgenländisch-Hianzische Gesellschaft" mit Sitz in Oberschützen, und ein im Oktober 1996 konstituierter "Güssinger Kreis zur Pflege der Mundart" der Sprache (und in logischer Folge des reichen Kulturgutes) der Hianzen annehmen. Daß diese Bemühungen nicht fünf, sondern zwei vor zwölf einsetzen, darin ist man sich einig. Engagement und Kooperationsbereitschaft über Vereinsgrenzen hinweg sind dementsprechend groß. Die Sprache der Hianzen soll vor einem Akropolis-Schicksal bewahrt werden. Die Akropolis in Athen, zweieinhalbtausend Jahre alt, von den Türken als Waffen- und Pulverlager mißbraucht und doch von Bestand, fällt heute dem Smog zum Opfer. Das Hianzische, etliche Jahrhunderte alt, nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867 von einer aggressiven Magyarisierungspolitik bedrängt und doch beständig, läuft Gefahr, im nivellierenden Strudel von Medienallgegenwart und Mobilität unterzugehen.

Der "Güssinger Kreis zur Pflege der Mundart" sieht in den Bemühungen zur Bewahrung der Sprache der Hianzen, im besonderen in der aktiven Pflege als der nachhaltigsten Form der Bewahrung, eine besondere Verpflichtung gegenüber Johannes Ebenspanger aus Kukmirn und Josef Reichl aus Güssing, jenen beiden Vertretern der Region, die frühzeitig und damit auch protagonistisch ihre Mundart, das Hianzische, in poetischer Fassung in die Öffentlichkeit getragen haben.

Gottfried Pröll

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